(Ergänzung für Life-Design; Im Ziel ankommen, weglaufen vor dem Jetzt.)
Hast du auch das Gefühl, dass du irgendwo ankommen solltest oder willst? Bei allem, was du so willst und tust, strebst du danach, es irgendwann geschafft zu haben? Irgendwann „fertig“ zu sein?
Nur noch das tun, sein, werden, erreichen, dann kann ich endlich …, dann darf ich …, dann habe ich …, dann bin ich …
Für die Auslassungen kannst du alles Mögliche einsetzen. Ruhe finden, glücklich sein, Freude, Liebe, Lebendigkeit, Freisein, Frieden, Selbstliebe verspüren, du selbst sein, kreativ sein, dein Traumleben leben.
Prüfe einmal, ob du solche Gedanken und Antriebe in dir und in deinem Leben hast. Daran ist nichts Schlimmes oder Schlechtes. Wir Menschen sind zielorientierte Wesen. Auch wenn wir hier über Life-Design, also die bewusste, absichtliche Gestaltung unseres Lebens, nachdenken und daran arbeiten, wollen wir zumeist auch etwas erreichen.
Gerade deshalb scheint es mir wichtig, das zu klären. Tun wir das nicht, könnten wir aus schierer Gewohnheit im Denken, Fühlen und Verhalten am wirklichen Ziel vorbeischrammen, und zwar immer wieder.
Wenn du dein Leben bewusst und absichtlich gestalten willst, dich selbst bilden und transformieren willst, was willst du dann wirklich? Denk einmal eine Weile darüber nach. Du willst dich auf irgendeine Weise besser fühlen. Das dürfen wir nicht vergessen.
Im Jetzt besser fühlen.
Glücklicher, liebevoller und nachsichtiger (mit dir), sinnvoller, erfüllter, friedvoller, erfolgreicher, zufriedener. Wenn wir jetzt einfach blind immer weiter nach mehr streben, immer weiter gerade noch nach dem nächsten Ziel langen (um dann glücklich, erfolgreich, selbstliebend zu sein), erschaffen wir ein Selbst, das im Jetzt nie Zeit und Raum hat, um diese Gefühle erfahren zu können, sie zuzulassen.
So wirst du immer weiter unzufrieden sein, dich unvollständig fühlen und nach mehr streben. Bis du nach Jahrzehnten erkennst, dass du mit dieser Einstellung nie erreichen kannst, was du wirklich willst. Wie der sinnbildliche Esel mit der Karotte, die vor ihm am Stock baumelt. Egal, wie schnell der Esel auf die Karotte zustrebt, sie bleibt immer gerade außerhalb seiner Reichweite.
Wenn ich nur etwas schneller gehe, dann erreiche ich sie, denkt er. Nachdem das nicht klappt, denkt er, ich gehe jetzt in eine andere Richtung. Wenn ich in diese Richtung gehe, dann erreiche ich sie bestimmt.
So können Jahrzehnte vergehen. Das nenne ich die Wenn-dann-Falle.
Sehr verbreitet bei uns. Von klein auf bis ins Erwachsenenalter lässt man uns das Wenn-dann-Schema einüben. Wenn du brav bist, dann bekommst du Liebe und Zuwendung. Wenn du fleißig lernst und die richtigen Antworten gibst, dann bekommst du gute Noten und dann darfst du in die nächste Stufe. Danach Lehre oder Studium. Danach Job bekommen. Dann Beförderungen und Lohnerhöhungen. Wenn-dann, wenn-dann, wenn-dann. Jahrzehntelang. Das macht etwas mit uns – damit, wie wir uns und die Welt sehen und wie das alles funktioniert.
Unter anderem laufen wir dann im Glauben herum, wenn wir nur die richtigen Antworten und Reaktionen wüssten, dann würde es schon funktionieren, das Leben, nicht?
Damit verbunden: Der andere da, mit dem Buch, dem Video oder der Instagram-Story, der weiß bestimmt, was die richtigen Aktionen und Reaktionen sind. Diese Erwartung, dass es die richtige Aktion oder Reaktion gibt im Leben, das unendliche Möglichkeiten hat, kommt daher, dass zum Beispiel in der Schule nicht erwünscht war, selbst individuell Wissen zu schaffen und zu lernen. Die „richtigen“ Antworten wurden nicht entwickelt, sondern standen alle schon fest, waren vorgefertigt. Es ging mehr um das Auswendiglernen dieser Antworten, nicht um das selbstständige Denken. Nur so bekam man die ebenso vorgefertigten Reaktionen von der Machtperson Lehrer: gute Noten, nächste Stufe erreichen.
Die Besten in der Schule waren nicht die, die am klügsten waren, sondern die, die sich am besten anpassen konnten. Es waren die, die am besten auswendig lernen konnten, was der Lehrplan vorgab und der Lehrer hören wollte. Es war und wird in der Schule nicht erwartetet, wirklich zu denken und für die Erfahrung von Wissen zu sorgen.
So entstand der tiefe Glaube, es müsse im Leben immer so gehen. Ich muss dem Leben gegenüber nur das Richtige tun, dann gibt es mir die entsprechende Antwort. So rauschen wir am Glück vorbei, da es sich eben nicht in der Zukunft (wenn …, dann …) erleben lässt, sondern nur im Hier und Jetzt.
Was also tun?
Das Streben aufgeben, nichts mehr wünschen? Ich habe so das Gefühl, das könnten wir nicht einmal, wenn wir es wirklich wollten. Denn was ist der Wunsch, das Streben aufzugeben, anderes als ein weiterer Wunsch, ein weiteres Streben?
Robert Fritz hat es sehr schön zum Ausdruck gebracht: Wir sind Erschaffer. Wir müssen entfalten, entwickeln und erschaffen. Wir sind Aspekte, Ausdrücke im Jetzt – eines LEBENS, das sich entwickelt, entfaltet und wächst.
Wir sind nicht getrennt und könnten nie getrennt sein vom LEBEN.
Ganz gleich, wie sehr sich viele Menschen auch getrennt fühlen. Sogar überlegen dem LEBEN und der NATUR. Was für eine seltsame Vorstellung, die viele da scheinbar entwickelt haben.
Also müssen wir gewissermaßen erschaffen. Immer weiter wollen wir geistig heil sein und uns wohlfühlen.
Wo fühlen wir uns wohl, wenn wir uns denn wohlfühlen? Richtig: im Hier und Jetzt. Also müssen wir erschaffen. Zwar müssen wir nach etwas streben, dafür arbeiten, dafür spielen und riskieren, aber gleichzeitig unser Jetzt erleben, es anerkennen und es genießen.
Uns daran erfreuen, auf dem Weg zu sein, und den Prozess des Erschaffens genießen. Gelingt uns das nicht, werden wir auch im neuen Jetzt, wenn das Ziel erreicht ist, nicht da sein, um zu genießen, sondern schon nach dem Nächsten streben. So laufen wir, wenn wir etwas anstreben, gleichzeitig weg.
Wir laufen vor dem Jetzt weg. Könnten wir nur im Jetzt ankommen und dort verweilen! Es genauso wahrnehmen und anerkennen, wie es ist. Das liegt in unserer Macht. Wer entscheidet denn, das Jetzt anzunehmen und anzuerkennen? Wer entscheidet denn, das Jetzt akkurat wahrnehmen zu wollen?
Hier kommt mir auch wieder der Unterschied, den Robert Fritz machte, in den Sinn: das eigene Leben nicht als Problem zu sehen, das es zu lösen gilt. Willst du mit allem, was du so willst und tust, hauptsächlich Probleme lösen, sie wegmachen (alles „Unliebsame“ wegmachen)? Oder willst du etwas schöpferisch entstehen lassen? Das scheint mir eine wichtige Unterscheidung zu sein. Es verändert komplett die Ausrichtung, mit der du dein Leben angehst.
Der schöpferische Mensch schöpft wortwörtlich aus dem Vollen. Er will nicht verhindern oder wegmachen. Er will schaffen, entstehen lassen, beitragen. Erschaffen wird zum Selbstzweck – ist sich selbst genug. Somit kann er auch individuell eine Erfahrung von Wissen erschaffen, braucht keine vorgefertigten Antworten, Taten und Reaktionen wie in der Schule. Er schafft sich seinen eigenen Weg. Seine eigenen Antworten.
Was richtig ist und was falsch, erfährt er auf seinem Weg, während er seinen eigenen schöpferischen Prozess immer besser kennenlernt. So findet er Erfüllung, Sinn, Freude und Lebendigkeit, während er auf dem Weg ist, und strebt nach etwas, ohne an diesen Konzepten anzuhaften. Diese Konzepte sind dann eher – sehr willkommene –Nebenprodukte dieser gewissen Art zu leben.
Diese Einstellung, es irgendwann im Leben „geschafft“ zu haben, „angekommen“ zu sein, ist dem schöpferischen Menschen fremd. Er weiß auf einer tieferen Ebene, dass es immer etwas zu lernen, zu erschaffen und zu entwickeln gibt und dass ein erreichtes Ziel nur der Ausgangspunkt für eine neue Schöpfung ist.
Beethoven war nach der dritten Symphonie nicht angekommen. Er hatte sich nicht gesagt: „So, endlich bin ich angekommen. Endlich geschafft. Jetzt lege ich die Füße hoch und tue nichts mehr.“
Francisco de Goya, der spanische Meistermaler, hatte auch, als er schon sehr alt, gebrechlich und schwer krank war, in seinem Selbstporträt noch das neugierige Funkeln des Schöpfers in den Augen. Er schrieb oben rechts über dieses Selbstporträt den Satz: „Aun aprendo“ ‒ „Ich lerne immer noch“.
Er dachte gar nicht daran, anzukommen und fertig zu sein.
Wie kann jemand bei dem Wunder des Lebens, das wir bewusst erleben, überhaupt auf die Idee kommen?
Menschen, die sich mit 30 oder 40 Jahren bereits auf die Rente freuen, wenn sie dann endlich nichts mehr tun müssen. Wo sie dann endlich angekommen sind. (Wo denn genau? Rente ist ein sehr gefährliches und schwammiges Konzept!) Welche Verschwendung!
Im Grunde wollen wir das auch gar nicht. Stell dir vor, du hast Besuch von einer Fee. Schnipp! Alles ist zu hundert Prozent so, wie du es dir wünschst, keine Mühen mehr, kein Streben. Alles, was du je wolltest, ist einfach da.
Jetzt was?
Sich zu Tode langweilen?
Du würdest wahrscheinlich bald anfangen, dir zu überlegen, was du jetzt tun und sein möchtest, oder?
Vielleicht würdest du endlich beginnen, Klavier spielen zu lernen oder Chinesisch zu lernen. (Wer oder was hält dich denn im aktuellen Zustand davon ab?) Warum sich also nicht gleich dem Schöpfen seiner Wünsche im Jetzt hingeben und das Erschaffen genießen? Einfach so, weil es unsere Natur ist. Was es ist, was du erschaffst, ist beinahe nebensächlich. Ein Werk, eine Fähigkeit, eine Eigenschaft, eine Art zu leben und zu sein. Etwas Kleines, Großes, Gewaltiges. Hauptsache du erschaffst und erschaffst dabei deinen individuellen stimmigen und „funktionierenden“ Schaffensprozess.
„Du lebst mit Hoffnung auf die Zukunft, weil du jetzt nicht richtig lebst. Nur Trottel hoffen auf die Zukunft.“
Alan Watts
Wie müsste dein Leben beschaffen sein, damit du aufgeben könntest, auf die Zukunft als Ausweg, Rettung oder Lösung zu hoffen?
Mit „Leben“ meine ich deine Art zu leben, zu sein, wie du bist, welche Einstellungen und Eigenschaften du hast. Bei der gerade gestellten Frage könnte man leicht „Leben“ mit Lebensumständen verwechseln. Villa am Strand, Millionen auf dem Konto und so weiter sind Lebensumstände, nicht „dein Leben“. Bedenke, wenn du Villa und Millionen erhältst, einfach so, lebst immer noch du darin. Du schleppst dich mit in diese neuen Lebensumstände. Außerdem erwartest du, dass äußere Lebensumstände und Dinge, die außerhalb deiner Kontrolle liegen, dich ändern oder glücklich machen sollen – was immer das für dich bedeuten mag.
Dich auf Dinge außerhalb deiner Kontrolle zu verlassen, um glücklich zu sein, ist ein Garant für großes Unglück.
Unser Ziel ist bei bewusster, absichtlicher Lebensgestaltung (Life-Design) also nicht, in die Zukunft zu flüchten. Wir wollen, dass unser Ziel, unsere Vision aus der Zukunft in die Gegenwart zurückgreift. Sie soll uns anziehen, uns führen, uns beeinflussen und damit unser Jetzt verändern. Unser Denken und Verhalten im Jetzt verändern.
Jim Rohn sagte einmal: „Du wirst nicht Millionär wegen der Millionen auf dem Konto, sondern wegen dem Menschen, der du auf dem Weg zum Millionär wirst.“
Das Ziel wird dabei zur Nebensache. Wir wissen eh, dass das Lernen mit dem Erreichen des Ziels nicht aufhört. Solange wir noch leben, haben wir noch was zu tun, zu lernen, zu erschaffen und beizutragen.
1. Du wirst einen Körper erhalten.
2. Du erhältst Unterricht – du bist in einer zwanglosen Vollzeitschule namens „Leben“ eingeschrieben.
3. Es gibt keine Fehler, nur Lektionen.
4. Die Lektionen werden wiederholt, bis sie gelernt wurden.
5. Das Lernen von Lektionen hört nicht auf. Wenn du noch lebst, bedeutet das, dass es immer noch Lektionen zu lernen gibt.
6. „Dort“ ist nicht besser als „hier“.
7. Andere Menschen sind nur ein Spiegelbild von dir – du kannst nicht etwas an jemand anderem lieben oder hassen, es sei denn, es spiegelt etwas wider, was du an dir selbst liebst oder hasst.
8. Was du aus deinem Leben machst, liegt an dir – du hast alle Werkzeuge und du hast alle Mittel und Ressourcen, die du brauchst. Was du mit ihnen tust, liegt an dir.
9. Die Antworten auf die Fragen des Lebens liegen in dir – du musst nur hinschauen, zuhören und vertrauen.
10. All das wirst du bei deiner Geburt vergessen.
Cherie Carter-Scott’s „Zehn Regeln des Lebens“