„Fange also mit geringfügigen Dingen an. Man verschüttet dir dein bisschen Öl, man stiehlt dir dein Restchen Wein. Denke dabei: „So teuer kauft man Gelassenheit, so teuer Gemütsruhe.“ Umsonst bekommt man nichts.
Wenn du deinen Knecht herbeirufst, so denke: „Es kann sein, dass er es nicht gehört hat, und wenn er es gehört hat, dass er nichts von dem tut, was du haben willst. Aber so gut soll er es nicht haben, dass deine Gemütsruhe in seine Willkür gestellt wäre.“
Epiktet (XII, 2)
Gestern war ich am Flughafen Lissabon und beim Autoverleiher herrschte Chaos. Systemprobleme und zu viele Menschen auf einmal, die ihr Auto abholen wollten. Da bemerkte ich, dass zwei Schalter gar nicht besetzt waren. Sofort fing mein Ego-Verstandeszeug an zu belfern: „Das gibt’s doch nicht, zwei Stunden Wartezeit und die besetzen zwei Schalter nicht.“ Da fiel mir ein, es könnten fünf Mitarbeiter krank sein und die anderen müssen für sie mitarbeiten. Ich weiß schlicht nicht, was wirklich los ist („der Knecht hat mich vielleicht nicht gehört“).
Das hat mich sofort beruhigt. Ich habe der Situation nicht mehr erlaubt, meine Gemütsruhe zu stehlen (der Knecht hat mich vielleicht gehört – ich erlaube ihm aber nicht, über meine Gemütsverfassung zu bestimmen, um es mit Epiktet zu sagen).
Ich merke in solchen Situationen mehr und mehr, wie weise die Stoiker waren und wie fähig, Menschen Wege zu zeigen, ein gutes Leben zu leben, unabhängig von äußeren Umständen. Zurzeit praktiziere ich die stoischen Prinzipien wieder mehr und bewusster. Sofort erlebe ich ihre Vorteile.
Eine Herausforderung, die ich immer wieder habe, ist, dass ich andere Leute „in meinen Kopf lasse“. Fast immer sind das Menschen, die ich nicht mag, die „Psychos“ sind oder einfach „Schläfer“ – unbewusst. Kennst du das? Jemand macht oder sagt etwas und man denkt noch stunden- oder tagelang darüber nach. Mentales Wiederkäuen der Situation, negative Gefühle wieder und wieder aktivieren, Gesprächsfantasien.
Somit erlaube ich dieser Person, mein inneres Leben zu bestimmen. Ich habe sie „in meinen Kopf gelassen“ und ihr erlaubt, über meine Gemütsruhe zu bestimmen.
Kennst du das?
„Aber so gut soll er es nicht haben, dass deine Gemütsruhe in seine Willkür gestellt wäre.“ (Epiktet)
Aber genau das tun wir, wenn wir ständig die Worte oder das Verhalten anderer wiederkäuen. Wollen wir nicht lieber unter allen Umständen unsere Gemütsruhe behalten?
Ich sage ja.
Dazu bietet die stoische Philosophie Ideen, Praktiken und Konzepte, die seit zweitausend Jahren erprobt wurden. Sie funktionierten bei Kaisern, Sklaven, Heerführern und Beratern von wahnsinnigen Kaisern – sie funktionieren auch bei uns.