Die alten Stoiker arbeiteten mit einem Idealbild, um ihren Schülern klarzumachen, was es bedeutet, ein weiser Philosoph zu sein. Der weise Philosoph ist das Idealbild, das alle Eigenschaften perfekt verkörpert. Die Taoisten nutzten das ebenfalls. Wer weiß, möglicherweise gab es und gibt es ja solche WEISEN MENSCHEN. Diese leise Hoffnung ist es, was uns das Ideal anstreben lässt. Anstreben, aber wahrscheinlich nie erreichen. Das Ideal soll uns die Richtung zeigen und den Weg beleuchten, es zeigt uns im Kontrast, wo wir noch wachsen können. Es ist ein Fehler, sich an Idealen zu messen. Das schicke ich bei den folgenden Überlegungen voraus. Sich an Idealen zu messen, ist ein Rezept für Unglücklichsein, Gefühle der Inkompetenz und mangelndes Selbstvertrauen.
Wir streben auf das Ideal zu, messen unseren Erfolg jedoch nur in Richtung Vergangenheit. Wir treten nur in Konkurrenz zu dem Menschen, der wir gestern waren – und letzten Monat und letztes Jahr. Das ist ein sehr wichtiges Konzept. Mache es dir klar, nutze es bewusst. Dieses Idealbild des Weisen ist in sich schon wertvoll für deine eigene Freiheit. Denn Weisheit macht freier. Der weise Mensch lässt sich nicht manipulieren. Das macht ihn schon zu einem freieren Menschen.
Seneca sagte es gar trefflich: „Weisheit ist das einzige Wissensfach, das den Menschen frei macht.“ (Seneca IV 57, Brief 88)
Ein wichtiger Schritt zur Weisheit und damit zur Freiheit, war für die Stoiker, unterscheiden zu lernen, was in unserer Macht steht und was nicht. Möglicherweise der wichtigste und wirksamste Schritt. Die Unterscheidung von dem, was in unserer Macht liegt – in unserer Kontrolle – und was nicht, ist ein großer Schritt zum FREISEIN. Wenn etwas nicht unter unserer Kontrolle ist, können wir es getrost sein lassen, wie es ist.
Es akzeptieren und unsere Aufmerksamkeit, Energie und Handlungen auf das lenken, was in unserer Macht steht. Dadurch werden wir frei vom Kampf gegen Windmühlen – gegen die Realität, wie sie eben ist. Gleichzeitig gewinnen wir Energie, Wirkkraft, um den Hebel anzusetzen, wo er etwas bewirkt. Zu viele Zeitgenossen jammern, meckern und schimpfen in Gesellschaft von Menschen, die nichts ändern können, wenn sie ein Problem haben, anstatt mit den Personen zu sprechen, die etwas ändern können. Anstatt den Hebel da anzusetzen, wo er etwas bewirkt. Um immer freier zu sein, befreist du die Energie, die bisher in unnötigen gedanklichen oder realen Kämpfen gebunden war. Über andere Menschen hast du keine Kontrolle. Worüber du stets die volle Kontrolle hast, ist deine Einstellung zu einer gewissen Situation. Übe dich darin, immer besser erkennen zu können, was in deiner Hand liegt und was nicht. Dann fokussiere deine Energie, Aufmerksamkeit und Handlungen darauf, was in deiner Hand liegt.
Im Laufe der Jahrtausende vor uns wurden verschiedene Wege zur Freiheit aufgezeigt. FREISEIN ist der ZUSTAND der vollkommenen (inneren) Freiheit. Vollkommene innere (psychisch, emotional, geistig, mental, spirituell) und äußere Freiheit.
Es gab und gibt Wege zur Freiheit, die verlangen, alles Weltliche aufzugeben. Geld, Luxus, feines Essen, loslassen und in den Tag hineinleben. Das ist der Weg der Asketen und des Krates in die Freiheit. Krates verschenkte eines Tages sein gesamtes Vermögen und rief dabei aus: „Krates, Sklave des Krates, entlässt Krates in die Freiheit.“ So wurde er zum Philosophen, der die Meinung vertrat: „Besitzlosigkeit ist der Anfang der Freiheit.“
Dann gab und gibt es den Weg zur Freiheit, der volle Teilnahme an und mitwirken in der Welt vertritt. Die Freiheit, sich „alles“ leisten zu können und „alles“ tun zu können, was man will. Erster Weg, Freiheit von Besitz. Zweiter Weg: Die Freiheit zu. Freiheit, dies und jenes zu tun und zu lassen, was einem gerade in den Sinn kommt. Wäre es nicht schön, wenn es einen dritten Weg gäbe, der die Vorteile beider Wege verbindet?
Es wird dich freuen, zu hören, dass die Weisen der Antike und der Neuzeit ziemlich schlau waren und bald feststellten, dass man sehr wohl Besitz – sogar Reichtum – genießen kann und dennoch frei davon sein kann. Frei von Anhaftungen zu sein, ist so eine „Methode“. Schon in der Bhagavadgita – der jahrtausendealten indischen Erzählung – wird beschrieben, dass man sich nur auf seine Aufgabe im Moment konzentrieren soll, während man das Ergebnis vollkommen loslässt.
Ich schreibe zum Beispiel ein Buch im Jetzt. Die Seiten und Kapitel schreibe ich als Hingabe ans Jetzt. Was mit dem Buch geschieht, ob andere es mögen, geht mich nichts an. Darüber habe ich keine Kontrolle. Ebenso kann man sich an seinem Reichtum erfreuen, ohne ihn zu brauchen, um glücklich zu sein. Ohne ständig Angst darum zu haben. Hätte jemand ständig Angst um sein Geld und würde zwanghaft darauf bedacht sein, dass es immer mehr wird, wäre er ein Sklave seines Geldes. Erfolg, Macht, Karriere – da spielen zu viele Faktoren außerhalb unserer direkten Kontrolle mit hinein, um sich darum zu sorgen. Das heißt, dass du zwar Ziele hast und dich ihnen im Jetzt voll hingibst, du sie jedoch nicht brauchst, um glücklich zu sein. Ein recht guter Weg dazu ist, sich mehr auf den Prozess als auf das Ergebnis zu konzentrieren. Der Prozess findet im Jetzt statt. Im Jetzt habe ich Kontrolle darüber, wie meine Einstellung ist und was ich unternehme und unterlasse. Das Ergebnis kommt oder kommt nicht. Später oder früher. Es ist nicht so entscheidend wie das, was ich im Jetzt tue. Diese Hingabe an das Jetzt macht mich freier im Ausdruck, denn ich habe keine Hintergedanken, was den Ausgang meiner Handlungen angeht.
In einer Welt, in der wir (scheinbar) so wenig (direkt) unter unserer Kontrolle haben, ist es beruhigend, zu wissen, dass der ZUSTAND FREISEIN für jeden verfügbar und erreichbar ist. Der letzte Satz war gespickt mit esoterischen Andeutungen, ich gebe es zu. Hast du sie bemerkt?
Wer es gerne gutbürgerlich-bodenständig hat: In einer Welt, in der wir so wenig unter Kontrolle haben, ist FREISEIN deine Rettungsweste. Um nicht in den Strömungen der Welt unterzugehen.
»… Die Geschichte der Welt ist nichts als die Entwicklung der Idee der Freiheit.«
Georg Hegel
Wie gesagt, FREISEIN ist hauptsächlich ein Zustand, eine Haltung, eine Art, dich selbst und die Welt zu sehen. Hegel, wie auch Rollo May, vertrat die Ansicht, dass wir Freiheit sind.
»Für Schelling ist Freiheit der absolute Grund oder die Basis der menschlichen Natur.«
Michael Tsarion
Wenn wir Freiheit sind, was sorgt dafür, dass sich so viele Menschen als unfrei, als Opfer ihrer inneren und äußeren Umstände erleben bzw. dass sich viele so verhalten? Das ist wahrlich eine faszinierende Beobachtung. Zum Glück gab es Menschen wie die Stoiker, Viktor Frankl und andere weise Menschen, die für uns vieles aufgedeckt haben, um uns unseren Zustand des FREISEINS wieder zu ermöglichen.
Wenn du dich fragst, warum ich in einer Blogpostserie, die „Was ist FREISEIN?“ heißt, so wenig Zielführendes darüber schreibe, was FREISEIN (oder Freiheit) ist, dann muss ich sagen: Scheiße, erwischt. Haha, nein, Spaß beiseite. Es liegt in der flüchtigen Natur dieses konzeptlosen KONZEPTS FREIHEIT. Freiheit ist nicht so leicht fassbar oder definierbar. Es ist vielmehr etwas, was entfaltet und erfahren werden muss. Sie entsteht jeden Augenblick neu und ist hoch individuell in dieser Erfahrung im Jetzt, die du dein Leben nennst.
Wie gesagt, gab es vor uns bereits helle Köpfe, die uns fantastische Schätze der Weisheit hinterlassen haben. Lass uns einen Moment dankbar sein dafür. Wir müssen nicht alles neu erfinden und erforschen. Eine dieser großen befreienden Weisheiten, nannte Viktor Frankl „die letzte menschliche Freiheit.“ Eine Freiheit, die auch viele andere vor ihm und auch nach ihm selbst unter schwersten Bedingungen gefunden haben. Es ist die Freiheit, sich zu einer gegebenen Situation so oder so einzustellen. In meinem Buch „FREISEIN“ kannst du mehr darüber lesen, ebenso über die Stoiker, die diese Wahrheit schon zweitausend Jahre vorher erkannt hatten.
Die letzte menschliche Freiheit, die Frankl im KZ entdeckte, nachdem man seine Familie exekutiert hatte und er gefoltert und gedemütigt wurde, haben andere bereits lange vorher entdeckt und für sich genutzt. Die römischen Stoiker waren bedroht von Feinden, waffenstarrenden beängstigenden Barbaren – Barbaren aus Sicht der Römer. Bedroht von wahnsinnigen Kaisern – von Tod und Exil. Die letzte menschliche Freiheit half ihnen, ihren Werten treu zu bleiben und insgesamt sehr fähige, mutige, aufrechte Lehrer, Feldherren, Staatsmänner, Berater und sogar einer der letzten sogenannten „guten Kaiser“ zu sein (Marcus Aurelius).
»Wer etwas ohne Gefahr gewonnen hat, hat es ohne Ruhm gewonnen. Mucius wurde durch Feuer geprüft, Fabricius durch Armut, Rutilius durch Verbannung, Regulus durch Folter, Sokrates durch Gift, Cato durch den Tod. Vorbilder für menschliche Größe kann man nur im Unglück finden.«
Seneca
Seneca wurde selbst schwer geprüft: Durch den Wahnsinn Neros, dessen Lehrer, dann Berater er war. Tod des Kindes. Tuberkulose. Verleumdung. Am Ende befohlener Selbstmord durch Nero, der seinen alten Lehrer und Berater loswerden wollte.
Die letzte menschliche Freiheit steht jedem Menschen zur Verfügung. Glücklicherweise werden heute, in unserer Gesellschaft zumindest, nur die wenigsten durch Folter, Gift und Exil geprüft. Somit sollte uns bei unseren alltäglichen Herausforderungen, die letzte menschliche Freiheit, uns zu gegebenen Umständen so oder so einzustellen, gut dienen. Sie wird dich viel freier machen und dir helfen, ein besseres Leben zu führen.
»Wer von denen, die das Konzentrationslager erlebt haben, wüsste nicht von jenen Menschen zu berichten, die da über die Appellplätze oder durch die Baracken des Lagers gewandelt sind, hier ein gutes Wort, dort den letzten Bissen Brot spendend? Und mögen es auch nur wenige gewesen sein – sie haben Beweiskraft dafür, dass man dem Menschen im Konzentrationslager alles nehmen kann, nur nicht: die letzte menschliche Freiheit, sich zu den gegebenen Verhältnissen so oder so einzustellen. Und es gab immer ein ›so oder so!‹«
Viktor Frankl
Starke Worte eines Mannes, der alles – bis auf seine letzte menschliche Freiheit – verloren hat und im KZ war. Menschen wie Frankl, Seneca, Stockdale – sieben Jahre Kriegsgefangenschaft mit Folter in Vietnam – konnten diese letzte menschliche Freiheit für sich nutzen, um schrecklichste Dinge zu überleben und Gutes daraus zu erschaffen. Meinst du nicht, du kannst sie in diesem relativ „normalen Leben“ nutzen, um etwas Gutes für dich und die Welt zu tun?
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