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»Fatum: ›Schicksalsspruch‹;
fatal: ›Vom Schicksal bestimmt; Verderben bringend.‹Fatalismus: ›Schicksalsgläubigkeit‹«
Duden
Die „Strategie des Fatalismus“ hat mich in den letzten 25 Jahren unglaublich viel gekostet. Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl, Ziele, Geld, Energie, Lebensfreude … Gewaltige Mengen davon sind auf der Strecke geblieben, weil der Perfektionismus und die Angst vor meinem Licht (= „Schutz vor Freiheit“) ihre letzte Waffe hervorholten.
Eine perfekte Lüge über die tatsächliche Situation. Einen Schleier über das zu werfen, was wirklich geschehen ist.
Stell dir vor, ich habe mir vorgenommen, abzunehmen. Und siehe da, es funktioniert. Ich mache regelmäßig Sport, ich esse Gemüse und lasse Süßigkeiten weg. Alles läuft gut. 12 Kilo habe ich bereits abgenommen. Wow! Dann kommt so ein Tag, wie es sie halt manchmal gibt im Leben. Schlecht geschlafen, 10 Stunden gearbeitet und alles lief irgendwie schief. Die Freundin „macht blöd“. „Ach, ich könnte mir so einen Käsekuchen gönnen.“ (Ja ich habe regelmäßig ganze Käsekuchen gegessen im Lauf eines Tages. Verurteile mich nicht.) Also „gönnte“ ich mir einen Käsekuchen, ich Armer, der es heute so schwer hatte.
Spule vier Monate vor, und ich habe wieder 12 Kilo zugelegt und seit vier Monaten kaum trainiert. Ich fresse regelmäßig Süßes, bis mir schlecht wird. Wie konnte das geschehen? Ich habe die Lüge des Perfektionismus geglaubt. „Jetzt hast du gegen deine Regeln verstoßen. Jetzt ist alles aus. Alles verloren. Dein Ziel ist mit so wenig Selbstdisziplin nicht mehr zu erreichen.“
Kennst du das?
Du nimmst dir etwas vor und es läuft recht gut, bis eine Abweichung kommt. Eine Schwierigkeit, eine Ausnahme und du gibst das ganze Unterfangen auf. Das ist die Folge der Lüge des Fatalismus, die dir der Perfektionismus erzählt. Was war denn wirklich los? Ich war super erfolgreich und näherte mich meinem Ziel. Dann aß ich einen Kuchen. Das war die Wirklichkeit dieser Situation. Von einem Kuchen hat noch kein Mensch zugenommen. Das geht nicht. Hier ist eine Wahrheit.
Die Angst vor deinem Licht und der Perfektionismus hassen Wahrheit. (Siehe meine Rechnung mit den 330 Texten pro Jahr praktisch ohne Aufwand) Hier also die Wahrheit:
Du kannst jederzeit, immer wieder, neu wählen, welche Richtung du deinem Leben geben willst. Im Jetzt – ohne Scham- und Schuldgefühle – kannst du entscheiden, was dein Schicksal in der Zukunft sein soll. Schicksal ist, nach meiner Definition, nicht, was Gott dir aufzwingt. Schicksal ist das, was ich jetzt und hier erlebe und was ich durch vergangene Gedanken, Gefühle, Taten und Unterlassungen angezogen oder (mit-)erschaffen habe. Was du jetzt erlebst – die „Realität“ – kannst du nicht direkt ändern. Dieser Zug ist abgefahren. Der Kampf gegen die „Realität“ macht dich unglücklich. Aber im Jetzt kannst du deinem Schicksal jederzeit eine neue Richtung geben.
Nein, meine Definition von Schicksal meint nicht, dass Kinder, die missbraucht wurden, Unfallopfer oder Gewalt-Opfer schuld sind daran. Es gibt Freak-Ereignisse und von uns nicht zu kontrollierende Ereignisse und Bedingungen. Es gibt Überschneidungen von persönlichem Schicksal und anderen nicht direkt kontrollierbaren Ereignissen. Bei solchen Themen geht es nicht um entweder-oder. Das wäre aristotelische zweiwertige Logik, die nie akkurat die Wirklichkeit beschreiben kann. Mit vierwertiger Logik (Nagarjuna, Tetralemma) kommst du der Sache näher: Sowohl-als-auch, keines von beiden oder noch etwas anderes, quasi. Wenn du mit solchen Einwänden kommst, könntest du dich fragen, ob du vielleicht für deine Begrenzung, Opferhaltung und (antrainierte) Machtlosigkeit argumentierst.
Aber wieder zurück zum Thema …
Nach dem fatalen Kuchenereignis hätte ich also wählen können, wie ich reagieren will. Anstatt mich als unfähig zu verurteilen, Ziele zu erreichen und das gesamte Vorhaben wegzuwerfen, hätte ich auch einfach die Wahrheit sagen können. Einfach anerkennen, dass ich einen Kuchen gegessen habe und jetzt die Gelegenheit habe, mich wieder neu auf mein Ziel auszurichten. Mich sogar umdrehen, und schauen, was ich bereits erreicht hatte. Zwölf Kilo abgenommen. Mir klarmachen, dass ein Kuchen keinen Menschen jemals dick gemacht hat.
Schon kurz nach der Ausnahme – sobald ich den letzten Bissen Käsekuchen heruntergeschluckt habe – habe ich die erste Möglichkeit, mich wieder voll und ganz auf mein Ziel auszurichten.
Was schätzt du, wie viele Chancen hast du jeden Tag, dich wieder neu auszurichten und deinem Schicksal eine ganz neue Richtung zu geben? Sehr viele! Du kannst jeden Augenblick des Tages nutzen, ganz gleich was du im Moment vorher getan hast. Anstatt also die Lügen zu glauben, weil sie von dir kommen, betrachte die Wahrheit der Situation und wähle deinen Weg ohne Schuld- und Schamgefühle weiterzugehen.
Die eine wichtige Waffe, um den Fatalismus-Gedanken – „jetzt ist alles egal, alles nichts mehr wert“ – auszuhebeln, haben wir im letzten Text kennen gelernt. Geplante und getrackte Ausnahmen. Diese ermöglichen es dir, ohne Schuld- und Schamgefühle Ausnahmen zu erlauben. Geplante und ungeplante Ausnahmen. Wenn Freunde zu Besuch kommen ins Wallis, kann ich wählen, entscheiden, Cholera zu essen und Primitivo zu trinken, bis mir schlecht wird. Ohne Reue, ohne Schamgefühle, ohne Schuldgefühle, die mir einreden wollen, ich hätte wieder meine Träume – ja, mich selbst – verraten.
Ausnahmen als Lernerfahrung
Wenn ich einmal aus Versehen schwach bin und nachgebe, kann ich das zur Lernerfahrung machen, indem ich bewusst analysiere, was da geschehen ist und es tracke. Dadurch fallen Schuld- und Schamgefühle weg. Merke: Wenn du bewusst daraus lernst, hast du das scheinbare Scheitern zur Lernerfahrung gemacht. Dadurch ist es kein Scheitern mehr, sondern lernen und die Möglichkeit zu wachsen.
Haha, alles perfekt jetzt? Jetzt sind wir vollkommen sicher, unsere Ziele zu erreichen? Na ja, fast …
Diese geplanten und getrackten Ausnahmen sind ein letzter Spalt, wo die Angst und der Perfektionismus ihre letzte Waffe, den Fatalismus, heimlich wieder einsetzen können. In jedem System, Plan, Vorhaben ist der Tag (oder die Stunde, oder der Augenblick) nach der Ausnahme entscheidend für den Erfolg.
»Jeder hat einen Plan, bis er die erste rechte Gerade abbekommt.«
Frei nach Mike Tyson
Wir hatten ja schon darüber gesprochen: nichts ist vorbei, wenn ich einen Käsekuchen verschlungen habe. Nichts! Es ist nur ein Ereignis mit einem Käsekuchen gewesen. Und dieses Ereignis ist vorbei. Nichts mehr zu machen, außer lernen und tracken. Kein schlechtes Gewissen, keine Schamgefühle und keine Selbstvorwürfe werden daran etwas ändern.
Gib also alle Selbstvorwürfe, Schuld- und Schamgefühle auf. Sie helfen dir nicht, besser zu werden.
Kein Mensch wird besser, wenn er sich schuldig fühlt, schämt und niedergemacht wird. Auch du nicht. Gib das sofort auf. Um also diesen Fatalismus auszuhebeln, müssen wir uns eine weitere wichtige Sache anschauen, die uns leider nicht in Schulen beigebracht wird, zumindest kann ich mich nicht daran erinnern.
Verpflichtung.
Was ist Verpflichtung?
Es hat ewig lang gedauert, bis ich verstanden hatte, was Verpflichtung wirklich ist. Tatsächlich habe ich erst vor ein paar Monaten gelernt, was Verpflichtung bedeutet. Vorher war es mir also gar nicht möglich, mich etwas wirklich zu verpflichten. Somit war ich mehr oder weniger vom Zufall abhängig, von persönlichen Vorlieben und Abneigungen, wenn es darum ging, ob mir etwas gelang oder nicht.
Verpflichtung ist – entgegen der Meinung vieler verheirateter Menschen – kein einmaliges Ereignis. Das ist der große Denkfehler, der wahre Verpflichtung und damit Erfolg verhindert.
Verpflichtung ist ein Prozess.
Wenn du das verstanden hast und anwendest, hast du die letzte Waffe des Perfektionismus neutralisiert. Wenn du ein komplett neues Verhalten lernen willst, es bewusst gestalten willst, dann verpflichtest du dich wieder und wieder, bis es dir zur zweiten Natur geworden ist.
Zu Beginn musst du dich vielleicht alle zwei Stunden wieder verpflichten.
Wenn du bisher deinen niedrigsten Impulsen frei nachgegeben hast und jetzt plötzlich entschieden hast, dich der Disziplin zu verpflichten, wirst du mit einer einzigen Entscheidung nur selten 15 Jahre Einfluss durch niedere Impulse auslöschen.
Ich sehe das heute eher so wie eine komplette Umerziehung, die ich mir selbst angedeihen lasse. Seitdem ich erwachsen bin, bin ich selbst verantwortlich für meine Erziehung. Ebenso für mein Wohlergehen, meine Energie, Lebensfreude und meinen Erfolg.
Du wählst, was du sein, tun und erreichen willst. Du verpflichtest dich und gehst erste Schritte auf dem neuen Weg. Zwei Stunden später rebellieren deine über Jahre gestärkten, schwächenden Gewohnheiten und Impulse. Du machst einen kleinen Umweg. Neu ausrichten, Wiederverpflichtung. Am nächsten Tag – so ein blöder Zufall – Tante Ernas Geburtstag mit viel Kuchen. Umweg. Neu ausrichten, Wiederverpflichtung. Wieder und wieder. Keine Verurteilungen, keine Schamgefühle und keine Schuldgefühle nötig. Einfach ein normaler Vorgang des Lebens.
Stur bleiben, ohne störende, unnötige Emotionen. So funktioniert der Autopilot in einem Flugzeug. Wenn ein Flugzeug in Frankfurt losfliegt, muss es auf dem Weg nach New York tausende von Kurskorrekturen – Wiederverpflichtungen – vornehmen, um tatsächlich am Zielort anzukommen.
Es ist mir fast ein bisschen peinlich, zuzugeben, dass ich bereits über 20 Jahre versuche, zu lernen, wie das mit der Zielerreichung und dem Erfolg wirklich funktioniert, und erst vor ein paar Monaten gelernt habe, wie das mit der Verpflichtung wirklich funktioniert. Zumindest in der Theorie ‒ die Praxis übe ich noch.
Es war übrigens Gay Hendricks in einem seiner genialen Bücher, der mir diesen Wink mit dem Zaunpfahl gab und mir das Offensichtliche beschrieb, das ich bisher nicht sehen konnte.
Ich dachte, das geht so, alle machen es so. Einfach einmal fest vornehmen, was ich will. Dann wird das Gras grüner auf der Wiese, auf der wir Ringelreihen tanzen und Hosianna singen. Nächstes Mal, wenn du eine Ausnahme machst, tracke sie und erinnere dich daran, dass Verpflichtung in Wahrheit ein Prozess ist. Wie ein neutraler Beobachter bemerken, was geschehen ist und ohne große Emotionen wieder verpflichten, ist unsere Geheimwaffe gegen den Fatalismus.
Hier geht’s weiter: Neue Gewohnheiten, neues Leben – Zusammenfassung.